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3. September 2015

Warum ich nicht mehr tolerant bin

Es fällt mir momentan schwer, über Sojajoghurt, vegane Schokolade und mein abgefahrenes Bircher-Müsli zu schreiben. Weil mich etwas umtreibt. Es lässt mich abends nicht einschlafen. Es ist bei mir, wenn ich im Bus zur Arbeit fahre. Und besonders, wenn ich in der Mittagspause die Nachrichten checke. Es muss raus: Ich bin intolerant. Und die Flüchtlinge sind schuld daran.

Ich bin ein nachgiebiger Mensch. Leben und leben lassen, das ist mein Motto. Wenn andere schon schreien, habe ich mich aus der Situation längst verabschiedet. Ich gehe ungern auf Konfrontationskurs - eine Kuschelveganerin. Dementsprechend verstehe ich auch Meinungsfreiheit als zumindest teilweise schützenswertes Gut. Ja, das ist ein komplexes Thema, und nein, ich denke nicht, dass das für alles gilt, aber darum geht es hier nicht. Worauf ich hinaus will: Das Schwierigste an der Meinungsfreiheit ist, dass dadurch andere Menschen auch Dinge sagen dürfen, die mir nicht gefallen. Aber so ist das nun mal in einem freien Land.

Und jetzt bin ich plötzlich intolerant und muss es rauslassen. Das liegt es an den "Meinungen", die rund um die Flüchtlinge geäußert werden - so etwas habe ich noch nie erlebt.

Liebes kritisches Volk, liebe warnende Mitmenschen, liebe Verschwörungstheoretiker, liebe Patrioten - also all jene, die es in Ordnung finden, Menschen, die vor Gräueltaten davonlaufen, als "Wirtschaftsflüchtlinge" zu bezeichnen, die "unsere Sozialleistungen haben wollen"; all jene, die Bootsunfälle im Mittelmeer als "natürliche Selektion" bezeichnen; all jene, die auf Facebook gefälschte Statistiken über Flüchtlinge verbreiten; all jene, die vorschlagen, auf Flüchtlingskinder mit dem Flammenwerfer loszugehen: Eure Meinung ist scheiße. Und wenn ich könnte, würde ich euch persönlich den Mund verbieten.

Wenn man wirklich glaubt, dass man mit diesen Äußerungen die warnende Stimme der Vernunft darstellt, dann tut ihr mir leid. Es tut mir vor allem leid, dass ihr nicht versteht, dass ihr instrumentalisiert werdet. Habt ihr euch schon mal gefragt, mit wem ihr euer Gedankengut teilt? Mit Personen, die Asylheime anzünden und auf kleine Kinder urinieren. Mit Parteien, deren einziges Wahlprogramm aus "Ausländer raus!" besteht, und die sich als "einer von euch" tarnen, um dann kräftig in die eigene Tasche zu wirtschaften. Und dann über die erboste Masse lachen.

Es geht hier nicht um eine Debatte über eine verfehlte Integrationspolitik, oder um die Arbeitslosigkeit in diesem Land, oder um "unsere Obdachlosen" (was ich besonders rührend finde, waren die doch vor etwa sechs Monaten noch der Schandfleck unserer Städte). Es geht hier nur darum, wie man mit Menschen in Not umgeht und wie man darüber spricht. Wie man Menschlichkeit zeigt.

Und eines darf ich noch voller Gusto sagen: Fremdenhass ist in der Minderheit. Wer mir nicht glaubt, der blickt nach Traiskirchen, wo Privatpersonen spenden, kochen und helfen, auf die österreichischen Bahnhöfe, wo Flüchtlinge mit Lebensmitteln, Notquartieren und Zuspruch erwartet werden und überall dorthin, wo nicht laut geschrien, sondern einfach angepackt wird.

Ich habe lange überlegt, ob ich mich am Blog dazu äußern soll. Immerhin ist das hier ein Blog rund um das vegane Leben und ich habe noch nie ein politisches Statement abgegeben. Tatsächlich hat mich eine Bemerkung meiner Großmutter dann dazu bewogen, dass es wichtig ist, Stellung zu beziehen. Meine Großmutter, die ihr vielleicht noch als Trauzeugin von meiner Hochzeit kennt, ist ein Flüchtling. Während des zweiten Weltkriegs musste sie ihre Heimat über Nacht verlassen. Sie spricht selten über die Flucht, aber wenn sie es tut, dann erzählt sie von dem Geräusch der Fliegerbomben, von Straßengräben, in denen sie sich versteckt haben, vom Hunger und der Anstrengung - und immer wieder der eine Satz: Ich weiß nicht, wie wir das geschafft haben. Noch immer ist die Erinnerung daran für sie traumatisch, selbst 70 Jahre später. Sie erzählt auch, dass ihnen niemand geholfen hat, als sie in Österreich angekommen sind, was mich traurig macht. Der Unterschied zu heute ist aber, dass damals Europa in Trümmern lag.

Wer sich engagieren möchte, der hat zahlreiche Möglichkeiten: Geld spenden wie bei der Aktion "Blogger für Flüchtlinge", Sachspenden, etwas Zeit aufwenden, ein freundliches Wort (nicht nur für Flüchtlinge!) - und vor allem aufstehen, wenn es die Sache verlangt. Denn ich will unsere Stimme endlich lauter hören.

Refugees Welcome.

15 Kommentare:

  1. Sehr gut! Ich bin irgendwie immer noch sprachlos und denke immer nur, dass kann alles nicht wahr sein. Ich verstehe schon nicht, wie Menschen sich gegenseitig bekriegen können. Wie kann es sein, dass man andere Menschen bedroht und diese aus ihrer Heimat fliehen müssen? Es ist auf der Welt doch genug für alle da. Und dann flüchten diese Menschen, suchen Hilfe und es gibt welche, die sie einfach wegschicken wollen und beschimpfen. Die Menschheit soll die Krönung der Schöpfung sein? Ganz sicher nicht. Manchmal glaube ich, dass in der Evolution gewaltig was schief gelaufen ist. Das Wort "Menschlichkeit" ist doch ein Widerspruch in sich.
    Ich bin aus Mitgefühl für die Tiere zur Veganerin geworden. Und genauso wenig wie ich verstehe, wie anderen Menschen die Tiere egal sein können, verstehe ich, wie sich manche Menschen anderen Menschen gegenüber verhalten. Mich macht das wie gesagt alles einfach sprachlos und unendlich traurig. LG Heike

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  2. Das hast du total toll auf den Punkt gebracht. Die jungen Menschen vergessen, dass viele unserer Großeltern selbst Flüchtlinge waren von wo anders nach Deutschland oder von Ost nach West.... Es wird in jeder Schule so viel über die Gräueltaten des 3. Reichs gesprochen und dennoch hat sich hier scheinbar nichts verändert im Denken der Menschen.... Weiter den Mund auf machen und selbt einen Beitrag dazu leisten, damit es schöner und wärmer wird hier in Deutschland!!! Daumen hoch!

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  3. Toller Beitrag! Mich treiben diese schwachsinnigen Aussagen mancher Menschen auch zur Weißglut und dass dann auch noch alles unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit argumentiert wird ist für mich ein NoGo. Hetze hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun!!!

    lg Irene

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  4. Toller Beitrag! Mich treibt es auch zur Weißglut, was manche Menschen für Schwachsinn über die Flüchtlinge von sich geben - und dass dann noch unter dem Deckmäntelchen der Meinungsfreiheit. Aber: Hetze hat in meinen Augen nichts, aber rein gar nichts mit Meinungsfreiheit zu tun!

    lg Irene

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  5. Schön. :-) Ich finds gut das Du Dich äußerst. Das ist wichtig denke ich. Nur nicht den Mund halten und gegen negative Meinungen gegenhalten!!!! Mitgefühl - ds ist es was zählt!!!!!!! Schön das Du es hast. GLG, MamaMia

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  6. Schön, dass du auch mitmachst. Hab vor kurzem auch meinen Blog als Plattform dafür genutzt! Das ist einfach wichtig!

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  7. Ich hab heute auch was dazu veröffentlicht, superwichtiges Thema!!!

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  8. Ich sehe das zu 100 % genauso. Ich bin nicht mehr nur intolerant, was das betrifft. Ich fühle sogar immer mehr Hass in mir aufsteigen....... Hass auf die ach so "besorgten Bürger". Was für ein blöder Ausdruck im Übrigen........ eigentlich sind es doch nur Menschen mit einer "braunen Denke".

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    1. Hallo Anke- Hass gegen Hass funktioniert nicht, hat nie und wird nie funktionieren können weil es aus der gleichen Denkweise stammt-also BITTE BITTE-kein Hass aber MITGEFÜHLdas ist ein wahres Gegenmittel zu Hass und funktioniert auch so!
      Alles Liebe xxx

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  9. Stimme dir vollkommen zu. Danke für den Post!

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  10. Tolles Statement! Seh ich genauso!

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  11. Das kann ich genau so unterschreiben. Ich finde es schrecklich, dass solche Leute ihre Meinung auf Facebook verbreiten können. Da hilft wirklich nur eins: den Flüchtlingen helfen! Nur so kann man zeigen, dass die mitfühlenden Menschen in der Mehrheit sind.
    Marie

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  12. Du sprichst mir aus der Seele, ich sehe es genauso.
    Ganz ehrlich, selbst wenn es so wäre, dass unser Wohlstand unter dem Ansturm von Flüchtlingen zusammenbräche: Mitgefühl muss trotzdem eine höhere Priorität haben - immer. Wenn unser Wohlstand nur dadurch aufrecht erhalten werden kann, dass wir ihn mit Zähnen und Klauen verteidigen und uns brutal von Menschen in anderen Ländern lossagen, dann lebe ich lieber mit deutlich weniger materiellem Reichtum.
    Ich finde deinen Beitrag auch gar nicht deplaziert auf dem Blog - im Veganismus geht es doch im Grunde auch um nichts Anderes als Mitgefühl mit Schwächeren und eine Lebensweise, bei der genug für alle übrig bleibt.
    LG Elisabeth

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